Salvador da Bahia und Strandumgebung

Der Flug von Brasilia nach Salvador de Bahia dauerte 4 Stunden. Wieder flogen wir mit der Airline AZUL. Doch diesmal gibt es Punkteabzug. Das Flugzeug der Partnerairline TRIP, eine ATR 72 Propellermaschine, war wenig vertrauenserweckend. Zum Einstieg gab es nur eine schmale ausklappbare Bordtreppe. Im Innenraum konnte man kaum aufrecht stehen. Wir saßen in der ersten Reihe am Notausgang, doch Beinfreiheit war hier Fehlanzeige. Die normalen Sitzreihen hatten wesentlich mehr Platz. Beim Start schepperte und klapperte es verdächtig und  plötzlich flog die Tür zum Gepäckraum auf. Lieber Himmel, das kann ja heiter werden, dachte ich... Nach knapp 2 Stunden eine Zwischenlandung in Barreiras, einem uns bis dahin unbekannten Ort im Landesinnern Bahias. Die Landebahn zieht sich mitten durch ein  vertrocknetes Grasland mit meterhohen Büscheln. Der Flughafen ist merkwürdig dunkel. Willkommen im Niemandsland. Oje... Passagiere gehen von Bord, neue steigen ein - bis das Gebäck hin- und hergeladen wird, vergehen 45 Minuten. Vielleicht hätten wir diesmal doch lieber den Direktflug der TAM buchen sollen?  Fragezeichen schwirren in meinem Kopf umher. Wir wären in 1 Std. 50 Minuten nach Salvador geflogen. Diese Verbindung kostete aber über 200 Real mehr und wir hatten bis dato ja gute Erfahrungen mit AZUL gemacht. Doch jetzt ist es zu spät. Mit diesem Flugzeugtyp fliege ich aber nie wieder. Ich schwöre es!  Um 22:15 Uhr landen wir auf dem Flughafen Luis Magalhaes in Salvador da Bahia. Es ist bewölkt und sehr windig. Das Maschinchen wackelt noch mal ordentlich und schüttelt uns alle zum Abschied kräftig durch, bevor die Räder endlich auf dem Rollfeld aufsetzen. Gott sei Dank! Wieder auf dem Boden. Also wirklich ans Fliegen gewöhnen kann ich mich nicht.

 

Wir sind also in Bahia, der  Wiege Brasiliens und der Region mit einigen der  landesweit schönsten Stränden. Zuerst müssen wir aber in unser Hotel kommen. Alle Reiseführer empfehlen, aus Sicherheitsgründen ein Taxi innerhalb des Flughafengeländes zu nehmen. Doch als wir die Preise hören, winken wir ab. Ich hatte mich schon vorab informiert, was die Fahrt vom Flughafen zu unserem nur 8 km entfernt liegenden Hotel kosten darf. Die Flughafentaxis verlangen 75-80 Reais. Das ist fast schon Wucher. Wir laufen nur wenige Schritte vom Ausgang des Flughafens zum ersten Taxistand. Dort stehen reihenweise Stadttaxis, alles ist gut organisiert und wir fahren mit einem sehr sympathischen Taxista für weniger als die Hälfte (35 Real) zu unserem Ziel. Also, vergessen Sie die Flughafentaxistände, die zocken nur ab. Die Sicherheitswarnungen entsprechen in diesem Fall  jedenfalls nicht der Wahrheit.

Jetzt sind wir gespannt auf unser Hotel, das Bahia Plaza Resort, von dem wir so viel gutes hörten und das uns in Porto Alegre wärmstens empfohlen wurde.

 

Ich komme ungern nachts in einer neuen Region an, weil man sich keinen Eindruck verschaffen kann. In der Dunkelheit wirkt alles anders. Nach knapp 20 Minuten sind wir am Ziel: ein Eisentor mit zwei Sicherheitspforten empfängt uns wenig einladend. Hier sieht es ja aus wie im Hochsicherheitstrakt! Man könnte fast meinen, man reist in die ehemalige DDR ein. Aber nein, das ist nur das erste Tor des Condominio Busca Vida, einer abgeschotteten Villensiedlung, in die auch das Hotel integriert ist. Unser Taxifahrer muss sich ausweisen und seine Registriernummer angeben. Von uns will man die Zimmernummer wissen. Witzbold - wie sollen wir das wissen, wenn wir noch nicht mal eingecheckt haben?! Nach unwilligem Brummen, fährt der Uniformierte die Schranke hoch und winkt uns durch. Nach einem weiteren Kilometer wieder eine Schranke, diesmal vom Hotel. Auch wenn wir von den Sicherheitsproblemen in Salvador wissen, das ist mir doch ein bisschen zu viel. Man kommt sich fast vor wie im Gefängnis. Der Taxifahrer dagegen meint, das sei gut so. Denn es gäbe immer mehr Einbrüche, selbst in bewachten Condominios. Also gut. Wir bedanken uns für den fairen Preis und die gute Fahrt und begeben uns um mittlerweile 23:20 Uhr an die Rezeption. Ich bin ziemlich kaputt und möchte nur noch duschen und schlafen. Erst noch die Check-In Prozedur, dann ins Zimmer. Das erste Zimmer riecht extrem nach Rauch und scheint wohl auch ein Raucherzimmer zu sein. Das geht gar nicht. Also müssen wir gleich wieder wechseln in ein anderes, zwar ohne Meerblick, aber dafür mit besserer Luft. Im Vergleich zu Brasilia ist die Luftfeuchtigkeit hier sehr hoch und die Zimmer muffeln alle etwas. Aber da kann mal wohl nichts machen. Die Räume sind grosszügig und haben alle einen Balkon, das ist auch mal schön.

 

Die Wetteraussichten sind nicht so toll. Werden wir nun eine Woche Regen an der Küste Bahias haben? Ich hoffe nicht und bestelle vorsorglich eine Portion Sonne beim Universum. Zur Sicherheit. So machen das die Jakobspilger auf dem Camino de Santiago. Wer weiss... Gott soll ja  Brasilianer sein :-)

Schnarch... ...

 

19.08.2013

Die Nacht war ruhig und ich habe geschlafen wie ein Murmeltier. Wir schlemmen am üppigen Frühstücksbuffet tropische Früchte, Müsli mit Joghurt, Rühreier und Speck mit starkem Kaffee dazu. Das war nötig nach dem gestrigen Stress. Im Speisesaal sitzen nur eine Handvoll Gäste, vier junge Argentinier und eine Gruppe älterer Senhoras aus Porto Alegre. Es ist Nebensaison und das Hotel fast leer.


Ein früher Blick aus dem Fenster zeigt ein paar hellblaue Fetzen am sonst dunkelgrauen Himmel. Wenigstens regnet es nicht. Dachte ich! Gerade als wir uns fertig machen, um an den 300 Meter vom Hotel entfernt liegenden Strand zu laufen, fängt es an, wie aus Kübeln zu gießen. Also doch wieder zurück an den Computer. So geht das drei bis viermal hin und her, bis der Himmel doch noch aufreißt und wir das Hotel verlassen können. Der Weg an den Strand ist schön und wäre eigentlich ein Genuß. Auch der Strand selbst mit seinen im Wind wiegenden schlanken Kokospalmen wäre ein Traum. Wäre - wenn nicht überall uniformierte private Sicherheitsleute rumstehen würden. Alle 100 Meter steht eine bewaffnete Gestalt, die uns aus prüfenden Blicken kontrolliert. Also doch Gefängnis! Ich habs doch gleich gewusst. Die Touristen werden hier mehr bewacht als beschützt. Man fühlt sich nicht unbefangen in einer solchen Umgebung. Es wirkt auf mich alles sehr surreal: Einerseits die millionenschweren Ferien- und Wochenendvillen des Condominio Bereiches, ringsum dunkelhäutige Gärtner, Bauarbeiter und andere Dienstleister, die kaum aufblicken und kein Wort sprechen. Verschwenderischer Reichtum und Schwerstarbeit der armen Schichten. Alles wie gehabt. Wohl nirgendwo in Braslien ist das soziale Gleichgewicht unausgeglichener als in Bahia. Ich kommentiere die Situation an der Rezeption und hätte gerne eine Meinung dazu. Marcelo, der sympathische Hotelmanager, versteht meinen Eindruck und meint: "Die Sicherheitsleute gehören zur Condominioadministration und leider sind sie auch notwendig". Bahias Kriminalität und Sicherheitsprobleme seien in den letzten 10-15 Jahren extrem angestiegen. Salvador sei sehr problematisch. Ich frage noch, ob dies denn nun die Entwicklung im Land sei: immer mehr Reiche ziehen sich in Luxusghettos zurück und der Rest versinkt in Anarchie und Gewalt?! Leider, meint Marcelo, sei dies eine traurige und steigende Tendenz in ganz Brasilien, aber spezifisch in Bahia.

 

Es will mir nicht in den Kopf wie dieses Land, das so reich an Natur- und Bodenschätzen, Kulturen und auch klugen Köpfen ist, solche Situationen toleriert. Während wir hier im Hotelkomplex  von allen Annehmlichkeiten umgeben sind, fühle ich mich unwohl und isoliert. Ich sehe keine guten Perspektiven für die brasilianische Gesellschaft. Wer oder was auch immer Schuld sind, es ist eine Schande. Mehr noch, für mich, die die brasilianische Gastfreundschaft und Lebensfreude kennenlernte, eine nationale Tragödie. Ich sehe heute Brasilianer,  die weniger lachen, misstrauischer geworden sind und hoffnungslos in die Zukunft blicken. Keine Gesellschaft kann frei sein, wenn die Gewalt an der Tagesordnung steht. Was hilft den reichen Schichten das ganze Geld der Welt, wenn man wie ein Vogel im goldenen Käfig leben muss?

Uns kommen Zweifel, ob es eine gute Entscheidung war, nach Bahia zu kommen. Jeder rät uns ab, mit der Kamera in Salvador herumzulaufen. Wie sollen wir also gute Bilder machen, ohne die Sorge jeden Moment überfallen zu werden? Das geht nur mit einem Guide, der sich genau auskennt, weiss, wo es sicher ist und der uns als "Bodyguard" begleitet. Der Bahia-Blues überkommt mich bei all diesen Aussichten.

Mal sehen...

 

20.08.2013

Es ist wie verhext. Es regnet und regnet. Noch dazu müssen wir einmal mehr das Zimmer wechseln. Die Klimaanlage in unserem Apartment spukt nur muffige Luft aus. Meine Bronchien melden sich wieder zurück. Ein Handwerker kommt, um das Gerät zu reinigen und gibt uns den Tipp, doch lieber ein anderes Zimmer mit einer neuen Klimaanlage zu nehmen. Die hätten sie erst vor drei Monaten eingebaut und gereinigt. Super, warum nicht gleich. Mit den Klimaanlangen und der Raumluft haben die brasilianischen Hotels offensichtlich ein Problem. An den Küsten ist es noch problematischer, da die Luftfeuchtigkeit hier immer hoch ist. Der neue Ar Condicionado tut es bis jetzt und wenigstens kann ich wieder atmen. Denn die Nacht war ein Horror. Wir mussten die Balkontür offen lassen, weil es mit Klimaanlage nicht ging. Darauf hat uns ein Schwarm Moskitos attaktiert und die üblen Blutsauger haben überall ihre Stiche hinterlassen. Irgendwie scheint uns Bahia bisher kein Glück zu bringen. Die Fototouren nach Salvador und Praia da Forte müssen noch warten. Versuchen wir es also erstmal mit dem hiesigen Strand. Gestern konnten wir keinen Strandspaziergang machen, weil gerade Hochwasser war und die heftigen Wellen bis an den Uferweg angeschlugen. Aber allein der Geruch des Meeres entschädigt schon für alle Strapazen.

 

Zugang zum Strand Busca Vida - (c) Lou Avers
Zugang zum Strand Busca Vida - (c) Lou Avers

21.08.2013

Endlich klart der Himmel etwas auf und wir können uns etwas genauer umsehen. Das Hotel Bahia Plaza Resort selbst bietet einiges an Serviceleistungen für die Gäste: es gibt einen gut ausgestatten klimatisierten Fitnessraum, eine Sauna,ein Spa, einen Aussenpool mit Bar und einer schönen Gartenanlage ringsum. Zum Strand Praia Busca Vida sind es 5 Gehminuten, wohin wir uns heute morgen gleich aufmachen. Diesmal mit Kameraausrüstung. Heute morgen ist Ebbe und so kann man am Strand entlang laufen. Kokospalmen säumen die Küste so weit das Auge reicht. Die Villen des Condominio reihen sich nahe am Strand aneinander. Eine nobler als die andere. Gut bewacht von den Sicherheitsleuten, die zu Fuss oder mit dem Motorrad patroullieren. Fotografieren darf man die Häuser nicht!  Ich kann es nicht genug wiederholen: Dieser Strand könnte ein wahres Paradies sein, an der Naturschönheit mangelt es nicht. Doch ich finde alles irgendwie steril und künstlich. Eine Oase für eine ausgewählte Elite. Paradies oder Gefängnis, das ist hier eine Frage der Sichtweise. Der Strand wurde mit der Errichtung der Villensiedlung privatisiert und der Zugang auf Bewohner und Hotelgäste begrenzt. Einige Einheimische beschwerten sich darüber, fanden aber wenig Gehör bei den öffentlichen Behörden. Das einzigste landesübliche ist eine alte Fischerhütte, die komischerweise von den reichen Bewohnern toleriert wird. Vielleicht als romantisches "Schmankerl". Zwei Fischer sitzen davor und reparieren Netze. Im Sand liegen noch einige verloren wirkende Einbaumkanus. Der Strand selbst ist fast menschenleer. Ein einsamer Jogger ist zu sehen und ein Paar, das wohl auch im Hotel logiert. Sonst sind wir die einzigsten, denen die gestrengen Blicke der Sicherheitsmänner folgen. Wirklich entspannt kann ich mich hier nicht fühlen, obwohl die Sandbucht und das ganze Drumherum zum Träumen einlädt. Eine eigenartige Atmosphäre. Als wir mit einem der Fischer etwas schwatzen, gibt er uns den Tipp, den Nachbarstrand zu meiden. Dort könnte man theoretisch hinlaufen. Senhor Oswaldo jedoch rät uns davon ab. "Mit diesem Fotoapparat und dem Material kommt Ihr dort nicht weit".  Überfallkommandos seien auch dort tätig und die neue Masche sei es, Minderjährige einzusetzen. Diese kommen, sofern sie gefasst werden, schnell wieder auf freien Fuss, weil sie nicht straffähig sind. In Gruppen von 5-6 rennen sie auf ihre Opfer zu und entreissen Taschen oder Rucksäcke. Manchmal überwältigen sie ihre Opfer auch und werfen diese zu Boden, damit sie nicht reagieren können. Ich kann immer wieder nur den Kopf schütteln über solche Geschichten. Dass sich ein Land mit mittlerweile 200 Millionen Einwohnern von einer Minderheit von kriminellen Banden terrorisieren- ja lähmen- lässt, will mir einfach nicht in den Kopf. Vor noch 15 Jahren waren wir  hier auf eigene Faust mit dem Auto und Zelt unterwegs, haben jeden kleinen Strand abgeklappert, manchmal auch übernachtet und noch nie irgendeine negative Erfahrung gemacht. Heutzutage wäre dies unmöglich. Oswaldo kommentiert die Sicherheitslage in Brasilien mit schiefem Mund und Daumen nach unten. Dieses Land könnte ein Paradies auf Erden sein, wenn die Regierungen sich um die Hauptprobleme kümmern würden, statt Geld für unnötige Statusprojekte auszugeben. Das ist meine bescheidene Ausländermeinung. Ich weiss allerdings auch, dass die Lage komplexer ist und Veränderungen eine ganze Generation  lange dauern würden.

Zum Trost gönnen wir uns noch ein Agua de Coco, frisch aus der Kokosnuss. Zurück im Hotel kommen wir mit den Senhoras aus Porto Alegre ins Gespräch, die am Pool die Sonne geniessen. Wir wundern uns über komische Piepsgeräusche bis wir sehen, dass die Baumwipfel um den Pool voller kleiner Saguí- Äffchen sind. Die Sagui (Cebuella pygmaea) sind auf deutsch als Zwergseidenäffchen bekannt. Sie gehören zu der kleinsten Affenspezies der Welt. Sie leben in Gruppen in Bäumen und sind sehr kurios. Auf dem Gelände des Hotels ist es voll von diesen lustigen Äffchen. Sie lieben Bananen und mancher Gast füttert sie, um sie anzulocken. Sie haben einen langen Schwanz und weisse Ohrfranzen um das kleine Gesichtchen. Aus ihren Mini-Augen schauen sie neugierig auf unsere Bewegungen und scheinen ihre menschlichen Verwandten zu erkennen.

Auch Meeresschildkröten sollen hier ab und an zu sehen sein. Es ist eine Region ihrer bevorzugten Eiablage. Im 40 Kilometer weiter nördlich liegenden Praia da Forte ist das Umweltprojekt Tamar für seine Meeresschildkrötenschutzprogramm bekannt. Vielleicht kommen wir noch dazu, vorbeizuschauen.

 

Putzige Zwergseidenäffchen (Cebuella pygmaea) direkt neben dem Hotelpool des Bahia Plaza Resorts - (c) Lou Avers
Putzige Zwergseidenäffchen (Cebuella pygmaea) direkt neben dem Hotelpool des Bahia Plaza Resorts - (c) Lou Avers

Steckbrief Bahia

Bahia ist ein Staat der brasilianischen Region Nordeste (Nordosten) und der geschichtsträchtigste der 27 föderativen Staaten des Landes. Es war an Bahias Küste, in Santa Cruz da Cabralia und Porto Seguro, wo die ersten Portugiesen unter Pedro Alvares Cabral 1500 landeten und die Entdeckung Brasiliens einleiteten.

Nach Bahia wurden auch die ersten afrikanischen Sklaven verschleppt, mehrheitlich kamen sie von den Küsten Guineas. Sie mussten auf den Zucker- und Kakaoplantagen der portugiesischen Kolonialherren schuften. Bis heute ist die Bevölkerung Bahias überwiegend von afrikanischer Herkunft. Das Land ist bekannt für seine traumhaften Strände, die sich auf eine 1200 Kilometer lange Küste verteilen und für seine bunte Kultur, die afrikanische und portugiesische Traditionen mischt. Aus Bahia kommt auch der Capoeira, ein Kampftanz, der in letzter Zeit auch in Europa immer mehr Anhänger findet. Männliche Sklaven nutzten diese uralte afrikanische Tradition, um sich gegen Übergriffe der Sklavenhalter besser wehren zu können. Heute gibt es mehrere Variationen des Capoeira, der von den Zupflauten der Berimbau und Sprechgesängen begleitet wird.  Die exotische Gastronomie ist eines der Highlights eines Bahia Urlaubes: Fisch oder Meeresfrüchte in Dendé-Öl geschmort (Muceca), das scharf-würzige Acarajé oder Pamonha (süsses Maismehl im Blatt gekocht) sind nur einige meiner Lieblingsgerichte. Die kulinarische Vielfalt in Bahia ist enorm und würde ein ganzes Buch füllen. Besser ist selber ausprobieren.

 

25.08.2013 Gelähmt in Bahia

Zum Wochenende sind einige neue Gäste eingetroffen. Vor allem Gruppenreisende: Techniker einer deutschen Firma, eine religiöse Vereinigung, die Tanz- und Gesangsmotivationen abhalten, lärmende Argentinier, die beim Frühstück alle übertönen und ein paar Familien aus den Nachbarstaaten Sergipe oder Alagoas. Die einzigsten Lichtblicke sind die süßen schokobraunen Babys und Kleinkinder mit ihren grossen braunen Augen und herzerfrischendem Lachen. Wie unverdorben und authentisch ist doch die Spielwelt der Kinder im Gegensatz zu der pervertierten Erwachsenenwelt. Leider ist es nur eine Frage der Zeit, bis  die Gesellschaft auch diese unschuldigen Seelen zerstört. Ich werde doch hoffentlich nicht langsam depressiv - oder vielleicht ist es nur der Bahia-Koller?!

Die Lust am Fotografieren haben wir verloren, denn jedesmal wenn wir mit dem Material an den Strand gehen, nerven uns die Sicherheitsleute mit ihren Kontrollfragen. Das letzte Mal wollte uns einer der Männer sogar vorschreiben, was und wo wir fotografieren dürften. Dabei befanden wir uns auf dem Hotelgelände und lichteten nur Palmen ab. Also, das hier ist wirklich eine Zumutung für die Gäste. Wir haben mittlerweile verstanden, dass eine Art Konflikt zwischen den Villenbewohnern des Luxuskondominiums und dem Hotel besteht. Das Hotel wird wohl von den Superreichen nur geduldet und mit Argwohn betrachtet. Am liebsten hätte man alles für sich ganz alleine. "Die Hotelgäste könnten auch eine Sicherheitsgefahr für die die Hausbesitzer darstellen", zitierte uns ein Sicherheitsmann. Die Paranoia der Reichen Brasiliens ist wohl schon so weit fortgeschritten. Sie schotten sich mehr und mehr ab und leben trotzdem in ständigem Misstrauen und Angst vor Einbrechern. Absolut paradox diese Situation hier. Wir wollen eigentlich nur noch weg. Ständig spukt mir hier der Songtext des Eagles-Hits "Hotel California" im Kopf herum: "We are programmed to receive. You can check-out any time you like, But you can never leave! " "Such a lovely place!" Verrückt, was einem so alles einfällt, wenn man "festsitzt".

 

Zu allem Übel können wir kein freies Hotel in Salvador finden, zumindest nicht für unseren Geldbeutel. Die Preise für ein adequates Hotel in Brasilien liegen im Durchschnitt mittlerweile für ein Standard-Doppelzimmer mit Frühstück bei 140 Euro aufwärts. Die Alternative wäre doch noch ein paar Tage Rio de Janeiro einzubinden und Bahia ganz sausen zu lassen. So ist unsere Stimmungslage mittlerweile. Doch alle Fluggesellschaften haben innerhalb von 2 Tagen die Flugpreise verdoppelt. Grund: der starke Dollar. Und wegen ein paar Tagen in Rio ein Vermögen auszugeben, sehen wir dann doch nicht ein. Im Bahia Plaza sind wir allerdings sehr stark eingeschränkt. Die meisten Leute wissen nicht, dass das Hotel in ein Villenkondomium integriert ist, denn das steht nirgendwo.Wir wussten es auch nicht! Das Hotelrestaurant ist teuer und Alternativen gibt es ringsum nicht. Das Condominium ist komplett abgeschottet. Nicht mal ein öffentliches Telefon findet man. Die Idee mit einem Mietwagen selbst herumzufahren, hat man uns von mehreren Seiten aus Sicherheitsgründen nicht empfohlen. Ok, es hat bis heute sowieso geregnet, hätte also wenig Sinn gemacht. Es bleibt nur das Taxi.

 

Die Administration der Tourismusregion Bahiatursa erwies sich bisher als außerordentlich träge. Seit Wochen gelingt es nicht, ein adequates Programm der wichtigsten touristischen Punkte zu organisieren. Kein Vergleich mit Porto Alegre oder Foz do Iguacu, wo wir kompetente Reiseführer und Transport zur Verfügung gestellt bekamen. Hier, wo wir dringend welche benötigten, um eine gründliche und für uns sichere Arbeit durchzuführen,  tut sich nichts. Die bürokratischen Dschungel und Kanäle sind in Bahia noch undurchschaubarer als anderswo in Brasilien. Wir werden von einem Mitarbeiter zum anderen weitergereicht und keiner ist zuständig oder fähig, irgendwelche Initiativen zu ergreifen. Emails werden nicht beantwortet, Rückrufe versprochen, die dann doch nicht stattfinden. Unsere Stimmung ist auf dem Nullpunkt.

Die einzige Entschädigung ist der Strand, wenn wie heute die Sonne scheint und man mal in Ruhe, fern der Sicherheitsleute, einen Strandlauf machen kann. Dennoch wissen wir, dass auch hier jeder unserer Schritte observiert wird.  Es könnte so schön sein...

26.08.2013 Kontrastprogramm

Wir haben es geschafft! Heute haben wir unser Luxusghetto verlassen und sind in die Stadtmitte umgezogen. Genauer gesagt, mitten hinein ins historische Stadtviertel Mouraria, das gerade einen Steinwurf vom Pelourinho, dem touristischen Stadtkern, entfernt liegt. Wir haben kurzfristig wieder auf ein Apartment von Airbnb zurückgegriffen. Der Kontrast könnte kaum grösser sein. Ein Taxi bringt uns von Camacari bis zur Wohnung. Die Strecke kostet stolze 100 Real und das war noch günstig, denn Renato hat uns einen Festpreis gemacht. Als wir in das historische Viertel abbiegen, bekommen wir einen ersten Vorgeschmack auf unsere unmittelbare Nachbarschaft für die nächsten 3 Tage. Das Motto Airbnb´s ist "Live like the Locals". Unser Host David hatte uns schon vorab eine ausführliche Wegbeschreibung gemailt. Er hat uns ehrlicherweise auch vorab gewarnt, dass die Gegend nicht sehr sicher sei und er uns nicht empfehlen würde, mit Fotomaterial zu Fuss zu gehen. Wir wussten also ungefähr, was kommt. Trotzdem bin ich geschockt, als Renato in eine schmale Kopfsteinpflastergasse mit verfallenen Häusern einbiegt und vor einem mintgrünen Haus hält, das mit Stacheldraht und Videokameras abgesichert ist. Vor der Tür auf dem Gehweg stapelt sich der Müll, der in Plastiksäcken vor die Häuser gelegt und jeden Abend eingesammelt wird. Es ist heiss, feucht und der Gestank der Müllberge zieht durch die Strassen. Das Apartment ist klein und mit dem Basisbedarf ausgestattet. Leider gibt es keine Klimaanlage und auch keinen Kleiderschrank. Aber dafür ist es halt auch wesentlich günstiger als ein Hotel. Die Nachbarschaft, die in den Kommentaren zum Aribnb Angebot als "nice neighbourhood" beschrieben wird, ist deprimierend. Die Türen und Fenster der heruntergekommenen Gebäude sind vergittert und mit Sicherheitsschlössern zugehängt. Unser Apartment hat sechs verschiedene Schlüssel und drei Türen. Das Haus ist viedoüberwacht. Also reinkommen kann hier jedenfalls niemand so schnell. Ein erster Erkundungsspaziergang durch die Nachbarschaft stimmt uns noch deprimierter. Manche der Seitenstrassen sind absoloute "No-Go-Areas" und man fühlt sich sehr unwohl, besonders als Gringo. Salvador, was ist nur aus Dir geworden! Vor 20 Jahren noch galt Salvador da Bahia als eine der sichersten Städte Brasiliens. Heute ist es eine Gewaltoase. Die touristischen Punkte sind gut abgesichert und werden zu bestimmten Zeiten von der Stadtpolizei überwacht. Aber ringsum geht nur per Taxi.

Mitterlerweile können wir es kaum erwarten, bis unsere Abreise nach Deutschland endlich ansteht. Leider muss ich es so sagen: Dieses Land war einmal das Land der Zukunft. Jetzt ist es in einer miserablen Situation. Dabei fehlt es nicht an Geld. Brasilien ist kein armes Land, es ist heute die sechstgrösste Wirtschaftsmacht und auch reich an Bodenschätzen. Leider wurde die lezten Jahre kaum in Bildung, Gesundheitswesen und Justiz investiert. Die jungen Kriminellen werden vom Gesetz beschützt und heute ist es so, dass es sich lohnt, Verbrechen zu begehen. 14- 15jährige haben Waffen bei sich und setzen diese auch ohne darüber nachzudenken ein. Wenn man Pech hat, trifft man genau auf solch einen Teenager, der ohne jegliche Werte aufwuchs und für den ein Leben mehr oder weniger keine Rolle spielt.  Ich kann die Demonstranten gut verstehen. Als Touristen sehen  wir nur die Karnevals-Imagebilder und schönen Strände der touristischen Werbekampagnen. Die Realität blendet man gerne aus, um seinen Urlaub nicht zu verderben. Ich bin tieftraurig über den Zustand Salvadors und Brasiliens insgesamt.

27.08.2013 Fotos mit Polizeischutz

Am Nachmittag holt uns ein Fahrer von Bahiatursa ab. Es gab nun doch noch Bewegung im Programm. Wir fahren ins Zentrum zum Stadtteil Pelourinho, wo es alle Touristen hinzieht und wo man die meisten Kolonialhäuser sieht. Begleitet werden wir von drei Mitarbeitern der Tourismusregion Bahia sowie einem Polizisten in Zivil, der immer in entsprechender Entfernung steht und das Geschehen rings um unsere Bildproduktion beobachtet. Obwohl wir das für etwas übertrieben halten, fühle ich mich dennoch wohler mit soviel Vorsorge. So können wir uns ganz auf die Attraktionen konzentrieren ohne ständig auf der Hut zu sein.  Bunte pastellfarbene Fassaden säumen die Gassen des Pelourinho. Die Altstadt Salvadors gehört aufgrund ihres historischen Ensembles zum Weltkulturerbe. Hier sieht man Baianas mit ihren weissen dicken Überröcken und bunten Turbans. Trommelklänge erklingen aus den Fenstern, Capoeira Gruppen führen ihre Tänze auf der Strasse auf. Die Rua Joao de Deus ist gesäumt von Künstlerateliers mit farbenfrohen Gemälden, Musikläden und typischen Restaurants. Die Strasse endet an der berühmten Escadaria des Largo do Palourinho. Hier tanzte Michael Jackson mit der heimischen Trommelformation Olodum in seinem Video "They don´t really care about us" und machte Salvadors Pelourinho weltberühmt. Wir haben sogar das Glück zufällig auf den Manager von Olodum zu treffen, der uns in einem kurzen Schwatz erzählt, dass sie gerade von einer Europatour und Auftritten in Deutschland zurückkamen. Nicht dass wir ihn gekannt hätten, aber unsere Begleiter machten uns auf ihn aufmerksam. Er fällt auf in seinem eleganten weissen Anzug, schwarzem Hemd und Hut auf langen Rastafarilocken. Er läßt sich sympathisch und geduldig von uns ausfragen. Vielleicht haben wir noch die Möglichkeit, einen Auftritt oder eine Probe Olodums in den Strassen zu erleben. In der Nacht, warnt uns der Polizist gleich wieder, sollten wir es auf gar keinen Fall riskieren, mit dem Fotomaterial im Zentrum herumzulaufen. Wie schade, denn gerade nachts wird der Pelourinho zur Open Air Bühne für Weltklassemusiker. Ohne Wertgegenstände kann man sich hier ruhig bewegen, aber wir sind ja zum Fotografieren gekommen. Es sind viele Touristen unterwegs, die man hier in Salvador inmitten des Afro-Kulturenmix schon von weitem erkennt. Wir werfen noch einen Blick in die Igreja de Sao Francisco, die älteste Kirche der Stadt. Sie ist ganz in portugiesischem Kolonialstil errichtet, innen blitzt dem Besucher das Gold der Altare entgegen. Haben die Portugiesen also doch auch etwas Gold im Land ihrer Ausbeutung hinterlassen. Sonst wurde ja fast alles nach Portugal verschifft. Wir machen noch einen Abstecher bei Senhor Carlindo und seinem Kult-Restaurant Cantinho da Lua an der Praca XV de Novembro. Carlindo ist einer der Originale der Stadt und sein Konterfei ziert zahlreiche Reiseführer und Zeitungsberichte.Er sieht aus wie ein Kubaner und erinnert mich an Compai Segundo. Das Restaurant ist einfach aber bekannt für seine Mucecas und andere typische Bahiagerichte.

 

28.08.2013 Entlang der Linha Verde bis Imbassaí

Wir fahren heute mit einem Fahrer von Bahiatursa und Teresa als Guide von Salvador entlang der Küste. Die Linha Verde ist eine gebührenpflichtige Schnellstrasse, die von Praia do Forte bis nach Mangue Seco an der Grenze des Bundesstaats Sergipe führt. Die Strecke von Salvador bis Praia da Forte wird als Linha do Coco bezeichnet, weil die Strände von schlanken Kokospalmen gesäumt sind. Unser erster Halt ist Arembepe, ein einstiges Hippienest, das heute eine Reihe schöner Fischerhäuschen und Restaurants direkt am wellenumspülten Strand beherbergt. Hier liegen bunte Fischkutter  im Sand und die Atmosphäre ist easy going. Leider haben wir wegen des Terminplans der Tourismusregion wenig Zeit und hetzen zum nächsten Ort ca. 20 Kilometer weiter nördlich. Praia da Forte ist einer der bekanntesten und touristischsten Strände der Region. Das einstige Dorf ist mittlerweile zu einer ausgewachsenen Stadt geworden, mit Apartmenthäusern, allerlei Strandläden, Restaurants, Banken und sogar mehreren Shopping Centern. Dem touristischen Trubel trotzt die schlichte Dorfkirche Sao Francisco, die dem Heiligen Franziskus von Assis geweiht ist. Davor kurven Vierradrikschas die Touristen für teures Geld durch die Gegend. Gleich hinter der Kirche ist der Eingang zum Projekt Tamar, ein Umweltprojekt zum Schutz gefährdeter Meeresschildkröten. Gustavo Rostan, der Geschäftsführer des "Feiluftmuseums der Meeresschildkröten" ist in Uruguai geboren, nennt sich selbst aber adoptierter Baiano. Er sprüht vor Leidenschaft und seine Augen funkeln, wenn er von seiner mittlerweile fast 20-jährigen Arbeit zum Schutz der Meeresschildkröten spricht. Er erklärt uns die verschiedenen Spezies und hält sie liebevoll aus dem Wasser, damit wir sie näher betrachten können. Praia da Forte ist einer der wichtigsten Nistplätze der Schildkröten. Im Dezember, also Sommer in Bahia, legen die Weibchen jeweils 120-150 Eier in mehreren Nestern am Strand ab. Dafür graben sie 50 cm tiefe Gruben, die sie dann mit Sand wieder zuschütten. Die Nester überlassen sie dem Kreislauf der Natur. Nur die stärksten der geschlüpften Schildkrötenbabys überleben. Und das sind wenige, nur ein bis zwei Junge pro Nest schaffen den Weg ins Wasser. Es ist die kritischste Phase für das Fortbestehen der Schildkröten. Mittlerweile gibt es 22 Basisstationen von Tamar in ganz Brasilien. Es gibt Erziehungsprogramme für Kinder und eine rege Interaktion mit den Besuchern. Das ganze in einem traumhaften Ambiente direkt am Strand. Wir verabschieden uns von Gustavo und fahren weiter zum nächsten Strand. An der Praia do Imbassaí werden wir überrascht von einem komplett naturbelassenen Dünenstrand ohne grossartige Infrastruktur. Nur ein paar Pousadas und das schöne Resort Hotel Costa dos Coqueiros mit direktem Zugang zum Strand reihen sich geschmackvoll in die Landschaft. Nur wenige Kilometer von Praia da Forte entfernt und heute fast menschenleer. Einige Einheimische baden im Imbassí-Fluss, der den Strand durchschneidet. Sonst nur Sand, Palmen und Wasser. Ein wahres Paradies, keine Sicherheitsleute, keine Beschränkungen. Endlich einmal das ursprüngliche Bahia, wie wir es vor 16 Jahren kannten. Denn die Bahia-Küste erlitt in den letzten Jahren einen explodierenden Bauboom. Immer mehr Urbanisationen entstehen und das gefährdet das sensible Ökosystem der Küstenregionen. Am Nachmittag müssen wir schon wieder weiter, weil Teresa und der Fahrer die Rush Hour vermeiden wollen. Und genau das passiert dann auf der Rückfahrt: heute kommt zum normalen Strassenchaos ein totaler Stromausfall (betroffen sind neun brasilianische Staaten), ein Fussballspiel im neuen Stadion von Salvador und zahlreiche Unfälle. Na bravo! Es ist stockdunkel, als wir die Stadt nach drei Stunden entnervendem Stop-und-Go erreichen. Die Läden sind geschlossen und die Leute sitzen im Dunkeln wartend vor ihren Häusern. Chaos total und eine gute Zeit für die kriminellen Banden. Im Dunkeln lässt es sich leichter mal eine Tasche oder ein Handy stehlen. Kaputt kommen wir spät im Apartment an. Wir haben noch nichts gegessen und der Kühlschrank ist leer. Auf der Suche nach einem Restaurant in unserer wenig einladenden Nachbarschaft, stossen wir auf eine simple Strassenbar, die uns ein Einheimischer des kleinen Hotels wenige Meter von unserer Strasse entfernt empfiehlt. Plastikstühle und -tische auf dem schiefen Kopfsteinpflaster  mitten auf der Strasse verteilt, eine Handvoll junger gewitzter  Garcons und eine kleine Küche in einem unscheinbaren Gebäude. So geht das hier. So kommen wir noch ganz unverhofft in den Genuss einer sehr leckeren und günstigen Muceca de Peixe (Fischeintopf) mit allerelei Zutaten. Die Teller und Bestecke sind sauber und die Köchin macht einen guten Eindruck. Den Strassenstaub spülen wir mit einem eiskalten Cerveja herunter.

Auf dem Rückweg  kreuzen uns überall junge Drogenabhängige und minderjährige Prostituierte, die in verfetzten Kleidern an den Strassenecken lungern. Was für ein Ambiente. Eine Gesellschaft und Politik, die solche unmenschlichen Zustände toleriert, ist ebenso unmenschlich und kriminell. Wenn wir nicht noch Fotos vom Pelourinho machen müssten, würden wir so schnell als möglich in das Strandhotel von Imbassaí flüchten. Aber genauso wenig wie es hilft, vor der Realität wegzulaufen, müssen wir die Tatsachen akzeptieren und versuchen, das beste daraus zu machen.

 

30.08.2013 Wieder Umzug und neue Kontraste

Unsere 3 Tage in Davids Apartment gehen zu Ende und wir sind nicht böse darum. Jede normale Alltagstätigkeit gestaltet sich hier als schwierig. Um zu einem Supermarkt zu kommen, muss man all die düsteren Gassen durchqueren, vor denen man uns täglich warnte. Wir spüren alle Augen auf uns. Ein Taxi zu bestellen erweist sich als ebenso kompliziert, denn die Taxifahrer haben entweder Probleme die Gasse zu finden oder sie stecken irgendwo im Stau und man muss ewig warten. Arbeiten können wir so nicht wirklich. Da wir auf Bahiatursa auch nicht verlässlich zählen können, bleibt nur ein weiterer Umzug. Wir entscheiden uns für das Hotel Sol Marina Victoria obwohl die Internetkommentare der Gäste bei Booking.com & Co. verheerend sind. Das verheißt nichts Gutes, was es da zu lesen gibt. "Dreckige Zimmer, Bruchbude, überaltert, unfreundliches Personal, renovierungsbedürftig"... sind nur die harmlosesten Meinungen der Reisenden. Die Lage allerdings und vor allem die Aussicht  sind dagegen  unschlagbar. Das Hotel hat einen direkten Blick auf das Meer und die Baia de Todos os Santos. Es liegt in der nobleren Gegend von Vitoria in der Rua 7 de Setembro, wo man die Taxistände und Bushaltestellen direkt vor der Tür hat. Normale Linienbusse und schnellere Mikrobusse fahren für weniger als 1 Euro bis zum Pelourinho ins historische Zentrum. Wir schnappen uns das erstbeste Taxi auf der Strasse und fahren zunächst ohne Gepäck ins Hotel, um uns die Zimmer mit eigenen Augen anzusehen. Dasjenige das uns gezeigt wird, ist einigermassen passabel und wir schlagen zu. Fredi, der Taxifahrer wollte nicht warten und hinterher erfahren wir auch, weshalb. Sein klappriger Fiat Uno Mille ist wohl nicht als Taxi registriert und er illegal. Das kommt davon, wenn man einfach in ein daherkommendes Taxi in einer abgelegenen Ecke einsteigt. Das hätte auch übel ausgehen können, wie uns der diesmal "offiziell registrierte" Taxista erklärt, der uns zurückbringt, um das Gepäck zu holen. Fredi sah aber eigentlich ganz vertrauenswürdig aus, schon ein etwas älterer Herr, der unentwegt schwatzt. Er schimpft auf Bahia, die regionalen Politiker und seine Landsleute, die nur noch an ihren eigenen Vorteil denken würden. Als wir ihn verwundert fragen, ob er denn kein Baiano sei, antwortet er: "Doch sicher, ich bin waschechter Baiano und ich bin sehr kritisch mit meiner Heimat. "Aber", warnt er uns sogleich: "Wenn ein Fremder über unseren Staat schimpft, dann werde ich zum Tier." Das Privileg des Kritisierens scheint hier also auch nur den Einheimischen zuzugestehen. Das kennen wir doch von irgendwo her. Ach ja, die Portugiesen haben das gleiche Paradoxum: Sie zetern und schimpfen über ihr eigenes Land wie die Spatzen - doch man sollte als Ausländer nicht wagen, den Kritikpunkten zuzustimmen. Sonst ist es mit der Freundschaft vorbei!

Ja, mit den Portugiesen hat ja auch alles in Bahia angefangen.

Im Sol Victoria Marina beziehen wir ein Zimmer mit Meerblick im 19. Stock. Ok, die Möbel und Einrichtungsgegenstände haben sicher schon bessere Zeiten gesehen. Aber das Zimmer ist gross, hell und  einigermassen sauber. Wenn man ein Auge zudrückt und die abgewohnte Atmosphäre ignoriert, ist es ganz passabel. Die Angestellten sind auch besser als ihr Ruf. Und wo hat man schon einen solchen Ausblick?! Wir schauen auf die gesamte Allerheiligen-Bucht Baía de Todos os Santos und das glitzernde Meer. Im Hinblick auf die Nachbarschaft fühlt man sich plötzlich in eine andere Stadt versetzt. Hier leben die Vertreter der Oberschicht in luxuriösen, gut gesicherten Hochhausapartments. Die baumgesäumte Allee davor sieht gepflegt aus und statt jungen verfetzten Drogenabhängigen sieht man hier gut gekleidete Senhoras das Hündchen ausführen. Die Herrschaften fahren mit teuren Autos ein- und aus von der Arbeit bis ins nächste schicke Shopping-Center. Auch das ist Salvador - zwei Parallelwelten der Extreme existieren hier Seite an Seite. Wer im Barra Shopping oder irgendeinem anderen der vielen Konsumtempel umherspaziert, sieht nichts von Armut und Gewalt. Alles ist hygienisch, modern und hip. Einkaufen ist die Lieblingsbeschäftigung der Bourgoisie - in dieser schönen heilen Welt kann man fast vergessen, was da draussen vorsichgeht. Doch kaum sitzen wir im Taxi auf dem Weg zurück ins Hotel, holt uns die Realität wieder ein. Der junge Taxista erzählt uns allerlei Horrorgeschichten von Überfällen und dass die Banden immer dreister werden. Am Hellichtentag und auf befahrenen Strassen stehlen sie seelenruhig Autos und niemand tut was dagegen. Selbst das Taxi unseres Fahrers wurde vor zwei Tagen aufgebrochen, wie er uns erzählt. Auch er vertritt die Meinung (die wir mittlerweile schon von verschiedenen Seiten hörten), dass sich die Situation drastisch verschlecherte seit die Polizei die Favelas in Rio räumte. Viele der kriminellen Bandenmitglieder seien daraufhin nach Salvador geflüchtet, denn festgenommen wurden die wenigsten. An der Theorie kann was dran sein. Alles ist möglich, denn Gewaltexzesse wie dieser Tage gab es bis vor 5 Jahren noch nicht in Salvador. Rio de Janeiro wird jetzt mit allen Mitteln gesichert bis zur WM 2014 und Olympia 2016. Danach weiss der Himmel, was passiert...